Die Angst des Golfers vorm
Haarewaschen
von Susanne Landskron
»Heute pack’ ich’s«, sagt Hermann Stein zuversichtlich zu Claudia, seiner treusorgenden
Ehefrau. Die schenkt ihm ein hintergründiges Lächeln und einen aufmunternden Kuss auf
den Mund. »Klar«, versichert sie ihm. »Vergiss deine Sachen nicht.« »Hab ich schon im
Auto. Bis heut abend!« Mit Schwung marschiert Hermann aus dem Haus, ins Auto, zu neuen
Taten. Diese Taten will Herrmann Stein heute am Golfplatz verrichten, dort wo er seit
drei Wochen die hohe Kunst erlernt, einen kleinen weißen Ball mittels Schwung elegant
durch die Luft sausen zu lassen.
Am Clubhaus angekommen ergreift Hermann ehrführchtig seine glänzenden Golfschuhe:
rundherum aus weißem Leder, unter der Sohle weiche Softspikes. »Aaah!« seufzt Herrmann
leise. Gibt es eine größere Lust als seine Füße in diese Symbole des Golfsports gleiten
zu lassen? – Es gibt sie: den perfekten Schwung!
Locker und leicht hängen die Arme herunter, der Oberkörper sacht nach vorne, der Po
nach hinten, die Knie leicht gebeugt, die Beine schulterbreit auseinander. Die linke
Hand liegt sanft oben am Schläger, die rechte eng darunter – einem Streicheln gleich.
Nun verlagert sich das Gewicht auf den rechten Fuß, die Hüfte leicht nach rechts gedreht,
die Knie weiterhin geradeaus, während die Arme gleichzeitig in einer fließenden Bewegung
den Schläger nach rechts ausholen und am Scheitelpunkt locker wieder zurück nach links
schwingen lassen, geführt von der Gewichtsverlagerung durch die Beine und Hüfte um die
körpereigene Achse – die Wirbelsäule – herum. Am tiefsten Punkt trifft der Schläger den
Ball mit einem klaren Ping, das ins Innerste des Spielers dringt und dort nachhallt, und
während die kleine weiße Kugel flach ansteigt und kurz vor Flugende wie von Zauberhand
gezogen ihren Höhepunkt erreicht, pendeln die Arme locker mit elegantem Schwung weiter
bis zum linken Scheitelpunkt, wo sie verharren und ihr Meisterwerk bis zum Aufschlag
betrachten.
Dieser Schwung ist Hermanns Begehren. Das ist es, wofür er lebt seit drei Wochen und
heute will er ihn sich erobern! Aber, ach! Die Zuversicht, die er seiner Frau gegenüber
gezeigt hat, sie schwindet dahin und ein Zittern macht sich in der Magengrube breit
während er seine Schuhe bindet. Mit feuchten Händen schließt er sein Auto zu und auf
dem Weg zum Übungsplatz summt »der Schwung, der Schwung« durch sein Innerstes.
»Hallo, Hermann, bist du bereit?« begrüßt ihn freundlich lächelnd John, sein Pro, mit
leichtem englischen Akzent. (Müßig zu erwähnen, dass John selbstverständlich den
perfekten Schwung beherrscht und ihn auch jederzeit perfekt ausüben kann.) »Hallo, John.
Na, klar!« wirft Hermann sich in die Brust und der Pro ist zufrieden.
Pro John nimmt ein Sechser–Eisen aus dem Bag und reicht es seinem Schüler. »Na, dann
zeig mir mal, was du noch kannst. Erst einmal ohne Ball.« Los, Hermann! Du packst das
jetzt, spornt Hermann sich in Gedanken selber an und greift beherzt nach dem
dargebotenen Eisen. Er stellt sich in Positur, holt mit aller Kraft aus und schwingt
die Arme durch. Hey, das war gut, denkt Hermann und lächelt zufrieden. »Das war schlecht«,
sagt der Pro.
Hermann schaut ihn verdattert an. »Schlecht?« echot er enttäuscht. »Aber es hat sich
so gut angefühlt.« »Weil du noch nicht weißt, wie es sich gut anfühlt«, antwortet John.
»Mach’s noch mal.« Hermann seufzt und wiederholt den Schwung. »Stop!« Regungslos
verharrt Hermann mit ausgestreckten Armen wie ein Kaninchen vor der Schlange und
schielt zu seinem Pro hinüber.
»Wo sind deine Arme?« Wo sollen sie schon sein? - In der Luft natürlich! »Deine Arme
sind hier oben. So weit oben haben nicht mal Pros die Arme. Halt sie hier«, belehrt
ihn John und drückt die Arme ein ganzes Stück nach unten bis etwa auf Schulterhöhe.
»Wenn du sie höher hältst, winkelst du den linken Arm an, der soll aber fast gestreckt
sein. Nur dann kommt er auch wieder zum Ausgangspunkt.« »Zum Ball«, ergänzt Hermann
und John nickt. »Und bleib in den Knien.« Hermann nickt konzentriert. Diesmal bemüht
er sich, die Arme nicht über Schulterhöhe zu nehmen. Sein Lohn ist ein promptes
»Besser!« und er schnappt gierig danach wie ein ausgehungerter Hund.
Doch schon beim nächsten Versuch kommt unerbittlich der Tadel: »Bleib in den Knien.
Du verläßt die Linie. Schau was passiert, wenn du nicht unten bleibst.« Der Pro führt
Hermanns Arme. »Siehst du? Du kannst den Ball nicht richtig treffen. Immer in den
Knien bleiben.« Hermann nickt und probiert es aus. »Besser!« Hermann strahlt. Nächster
Versuch.
»Beug dich etwas mehr nach vorne und den Po mehr nach hinten. Der Rücken soll gerade
sein, nicht rund.« »Aber dann hab ich ja’n Entenarsch«, widerspricht Hermann. »Was hast
du?« Pro John zwinkert irritiert. »’nen Entenarsch!« wiederholt Hermann. »So nach
hinten raus. Wie sieht denn das aus?!« John sieht ihn streng an. Urplötzlich Engländer
von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln. »Also so würde ich das nicht bezeichnen.
Das ist kein schönes Wort dafür.« John geht ein Stück zur Seite. »Wenn du nicht
richtig stehst, kannst du den Schwung nicht richtig lernen.« Dagegen läßt sich
nichts sagen. Hermann gibt sich geschlagen und streckt den Po nach hinten heraus
soweit er kann.
»Nein, nein«, schüttelt der Pro den Kopf. »Jetzt siehst du aus, aus wolltest du dich
auf die Toilette setzen. Mit dem Oberkörper weiter nach vorne. Schau, so!« Mit dem
Schläger zieht er die Hüfte nach hinten und drückt dann Hermanns Rücken nach vorn.
»So!« Zufrieden geht er wieder außer Schlägerreichweite. Doch Entenarsch! denkt Hermann
grimmig, aber wagt es nicht laut auszusprechen. Doch siehe da: der nächste Schwung
klappt gleich viel besser und der übernächste und überübernächste ...
»So, dann nimm dir einen Ball.« Zuversichtlich legt Hermann den Ball vor sich hin,
drückt den Po nach hinten, holt aus - und haut zu. Und der Ball fliegt. Fliegt schräg
nach rechts, einen Meter über dem Boden und schafft gerade mal die halbe Entfernung bis
zur ersten Markierung, die bei fünfzig Metern aufgestellt ist. Hermann steht da, mit
hängenden Schultern und traurigen Augen. »Was hab ich falsch gemacht?« fragt er
verwirrt. »Zuviel Kraft. Lass den Schläger arbeiten, der kann das viel besser als du.«
»Wieso?« Hermann fühlt sich plötzlich wie ein kleiner Schuljunge. Verdammt! Er ist
doch ein gestandener Mann, Mittdreissiger, mit Frau – bildhübsch – und zwei Kindern –
kommen ganz nach ihrer Mutter – und beruflich erfolgreich. Also strafft er die Schultern,
richtet sich zu voller Größe auf und fühlt sich immer noch unsicher.
»Das kennst du doch bestimmt. Was dreht sich schneller im Kreis, das innen oder außen?«
»Oh!« Hermann atmet auf. Na, klar! Beschleunigung, Fliehkräfte ... Wie peinlich, dass
er daran nicht gedacht hat! Also versucht Hermann ohne Kraft zu schlagen. Plopp!
macht’s und traurig rollt der Ball ein paar Meter über den Rasen. »Jetzt hast du
aufgehört, als du am Ball warst. Durchschwingen. Der Ball tut dir nichts.« Hermann
schwingt durch und, oh Wunder, er fliegt, der Ball, bis zur Fünfzig-Meter-Fahne, in
einer hübschen Kurve, zwar etwas weit nach rechts... »Bleib unten«, ermahnt ihn John.
Der nächste Ball saust wieder nur knapp über den Erdboden.
»Wunderbar bis kurz vorm Ball. Da willst du ihm dann noch mit aller Macht eins mitgeben.
Bleib ruhig!« Mit undurchdringlicher Miene kommentiert der Pro ein ums andere Mal
Hermanns Versuche. Ausgeholt, unten geblieben, Gewicht verlagert, durch den Ball
geschwungen – klack! – der Ball fliegt nach vorne. »Gar nicht schlecht, aber noch
viel zu hektisch. Gaaanz langsam und gleichmäßig.« Ein halbes Lob ist immer noch besser,
als gar keines. Obwohl – Hermann kann beim besten Willen nicht sagen was an diesem
Schlag anders war als bei den vorherigen. Und langsam? Hm, er ist doch beinahe
eingeschlafen. »Ich merke gar keinen Unterschied«, wendet er ein. »Aber ich sehe den
Unterschied«, antwortet der Pro freundlich und bestimmt. »Ich weiß nicht, wie ich’s
ändern soll. Immer wenn ich kurz vorm Ball bin, dann werde ich nervös. Was kann man
da machen?« Hilflos sucht er um Rat.
»Üben, üben, üben. Das geht jedem so. Das muss man immer wieder üben«, lächelt John
ihn aufmunternd an. »Üben?« wiederholt Hermann skeptisch. »Das ist alles?« »Golf wird
zu achtzig Prozent mit dem Kopf gespielt. Bleib ruhig ... entspann dich ... lass los.
Dann klappt es«, rät der Pro. »Okay, ich entspanne mich.« Hermann holt tief Luft und
grimmig entspannt lässt er die kleine weiße Kugel auf den Rasen fallen. Pffff – rast
sie über das kurz geschorene Gras und trifft bei fünfzehn Metern auf eine andere Kugel.
Klick – beide Bälle kullern noch ein Stück. »Verdammt! Ich war doch entspannt«, wütet
Hermann mit sich selbst. John schüttelt milde lächelnd den Kopf. »Nein, du warst
völlig verkrampft. Du darfst nicht mit Gewalt wollen. Mit Gewalt kann man nicht Golf
spielen.«
»Aber das ist so schwer«, seufzt Hermann. »Ja, das ist es«, bestätigt John ernst.
»Weißt du, Golf sieht so einfach aus, aber das ist es nicht. Golf ist sehr schwer. -
Aber wenn du es kannst, dann ist es ganz leicht.« Verschmitzt lächelt der Lehrer
seinen Schüler an. Hermann Stein bemüht sich an diesem Tag noch etliche Male entspannt
und ohne Kraft den Ball zu treffen. Immer wenn er denkt, er hat den Bogen raus, wird
er eines Besseren belehrt. Üben! Pah! Das lern ich ja nie! denkt er frustriert, als
er schließlich wieder heim zu seiner Familie fährt.
Dort begrüßt ihn seine Frau wie sie ihn verabschiedet hat: mit einem Kuss und einem
Lächeln. Seine Stimmung hellt sich etwas auf. Was ist wichtiger als seine Familie,
die er liebt? Doch ganz sicher nicht so ein dämlicher Golfball samt ein paar Schlägern?
Obwohl ... Energisch wischt Hermann die kleine Stimme im Hinterkopf beiseite. Claudia
merkt natürlich sofort, dass das Training nicht so gelaufen ist, wie es sollte und
um ihn abzulenken schiebt sie die fünfjährige Lena zu ihrem Vater: »Schatz, nimm doch
Lena mit unter die Dusche und wasch ihr die Haare, die haben es nötig.«
Hermann ist entsetzt. Ein mieser Golftag und jetzt auch noch seiner Tochter die Haare
waschen? Lena sieht aus wie ein kleiner Engel mit ihren blauen Augen, den blonden
Locken und dem lieben Lächeln, aber wehe, es geht ans Haare waschen ... Lena ist
gleich begeistert. »Au ja, Papi, wir gehen duschen!« Und schon zieht sie ihn an der
Hand fort ins Bad. »Aber wir müssen auch wirklich Haare waschen, Lena«, testet er
seine kleine Tochter aus. Schließlich sind ihre Schreianfälle berüchtigt. Doch die
blauen Augen strahlen ihn an: »Das weiß ich doch, Papi. Heute schreie ich auch ganz
bestimmt nicht. Ich bin doch schon groß und lerne immer viel dazu.« Ganz ernsthaft
bringt sie das heraus, während ihr ausgestreckter Zeigefinger energisch auf und ab wippt.
»Also, dann komm, meine Maus.« Nackig steigen Vater und Tochter in die Duschwanne. Doch
als Hermann das Wasser anstellt, drückt sich Lena panisch in die Ecke und schreit:
»Warte, Papi! Warte! Ich will dir noch was sagen!!!« Hermann seufzt. Na klar, denkt er.
Von wegen groß und lernen. »Was willst du mir sagen?« »Erst mal nur den Bauch und
Rücken waschen und danach Haare waschen.« Zitternd steht das kleine Mädchen da, ein
Bild des Jammers und in Hermann steigt väterliche Rührung auf. »Klar«, brummt er
liebevoll und braust den kleinen Körper behutsam ab. »Aber jetzt die Haare. – Leg
einfach deinen Kopf nach hinten an meinen Bauch, dann kommt nichts in die Augen.«
Als er das Wasser über den Kopf laufen lässt, quiekt seine Tochter erschrocken auf
und verkrampft sich. »Es tut weh, es tut weh!« schreit sie ängstlich. »Kann es doch
gar nicht. Ist doch noch kein Schaum drauf«, beruhigt er sein Töchterchen. Ganz
still hält sie, mit hochgezogenen Schultern, die Händchen fest ineinander verflochten,
während er die Haare shampooniert. »Siehst du, schon fertig und nichts passiert«,
lächelt er sie an. »Siehst du, ich habe gar nicht geweint«, strahlt Lena. »Aber
geschrien. Du weißt doch, dass gar kein Schaum in die Augen kommt, wenn du den Kopf
hinten läßt.« »Jaaa«, gibt Lena zögernd zu. »Aber weißt du, Papi? Ich hab dann
plötzlich trotzdem kurz vorher Angst.«
»Das kommt mir bekannt vor«, murmelt Hermann
in sich hinein, aber das Mädchen hört es doch und bekommt kugelrunde Augen. »Hast du
etwa auch Angst vorm Haarewaschen?« fragt sie erstaunt. Und da beginnt Hermann zum
ersten Mal am heutigen Tag herzhaft zu lachen. Zärtlich drückt er seine kleine Tochter
an sich und stupst ihr mit dem Zeigefinger auf die Nase: »Na, ja, so ähnlich.« Lena
lächelt ihn schelmisch an und meint: »Aber bald, Papi, lerne ich das auch noch und
dann habe ich gar keine Angst mehr.«